Der letzte Fischwerker

Direkt am Hafen steht Hamburgs älteste Fischbratküche. Bei Gerd Matthes erlaubt sich der ansonsten unsentimentale Wirtschaftsraum ein wenig Traditionspflege – weil die Qualität stimmt

„Du Gerd, weißt du wer da sitzt?“ Der Küchenchef steht im weißen Kittel an seinem Ofen und schaut einen Moment auf, bevor er wieder Kartoffelsalat mit einer Kelle auf einem Teller verteilt. „Der soll mal schön warten wie alle anderen auch.“ Die weiß gestrichene Holzbude ist mit ihren 45 Plätzen wie immer gegen Mittag voll besetzt. Also bleibt dem Wirtschaftssenator eine dreiviertel Stunde Zeit zu überlegen, ob er Hamburgs älteste Fischbratküche abreißen lassen will, weil wieder einmal Bedarf an Fläche angemeldet wurde. Und er sieht wie die Bedienungen, Teller mit Fischfilet servieren, die für die Bedürfnisse körperlich arbeitender Hafenarbeiter portioniert zu sein scheinen. Der demokratische Umgangston muss auch aus dieser Zeit stammen: Geduzt wird hier jeder, egal ob er im Anzug die Mittagspause verbringt, das Rentenalter erreicht hat oder eine Polizeiuniform trägt.

Die Fisch-Gaststätte Matthes steht immer noch am traditionellen Standort direkt neben dem Freihafen in der Tunnelstraße. 4.000 Unterschriften und eine Petition an die Bürgerschaft zwangen den damaligen Wirtschaftssenator Hans-Jürgen Krupp vor zwölf Jahren zu einem Kompromiss. Seitdem liegt der Behelfsbau aus dem Zweiten Weltkrieg auf einer kleinen Insel im LKW-Kreisverkehr. Umfahren von den Zugmaschinen, die derzeit Container in noch nie da gewesenen Mengen transportieren. „Altenwerder geht hoch – das kannten die bislang nicht“, hat Gerd Matthes von seinen Gästen erfahren. Das Container Terminal Altenwerder (CTA) ist die weltweit modernste Anlage ihrer Art, im vergangenen Jahr wurden nicht zuletzt deshalb im Hafen sieben Millionen Tonnen mehr Waren als 2002 umgeschlagen – ein Plus von acht Prozent. Einige der gerade einmal 250 Angestellten des CTA bestellen auch bei Matthes: die krossen Seelachsfilets, Bratheringe und Schollen werden in Styroporbehältern abgeholt und ins zerstörte Fischerdorf geliefert. Bei Gerd Matthes erlaubt sich der ansonsten unsentimentale Wirtschaftsraum ein wenig Traditionspflege – weil die Qualität stimmt.

„Wir machen alles selbst“, lautet Matthes’ Erfolgsrezept. Ehefrau Anneliese wäscht die Gardinen und bedient die Gäste gemeinsam mit Tochter Monika. In der Küche arbeitet Schwiegersohn Dieter Wolf. Der für Zungen im Glutamat-Zeitalter ungewöhnlich mild schmeckende Kartoffelsalat stammt aus eigener Herstellung, die Panaden sind besonders knusprig. Abends wird der Fischbratofen aus dem Jahre 1947 gereinigt, an dem der gelernte Fischwerker bei Daniel Wischer seine Lehre absolviert hat.

In einem dicken Foto-Album verwahrt Familie Matthes Fotos der alten Veddel, einem Amüsierviertel, das Seeleute mit 36 Kneipen und einem Cabaret lockte. Der Abriss dieses „Klein St. Pauli“ wurde 1938 von den Nazis begonnen, ehe alliierte Bomben im Feuersturm 1943 den Rest erledigten. „Es war wunderschön hier“, sagt Gerd Matthes, der hier seine Kindheit verbracht hat. Die Luftaufnahme des alten Segelhafens, lässt ahnen, was er meint. Dort, wo heute der schmucklose Zweckbau des Übersee-Terminals liegt, herrschte 1930 reger Betrieb, es sind Auflieger-Boote und Dampfschiffe zu erkennen.

Gerd Matthes hat die Fischbratküche 1967 von seinem Vater Louis übernommen. Inzwischen ist er selbst 73 Jahre alt und der dauernde Ansturm der Gäste, die ein letztes Stück des alten Hafens erleben wollen, hat Kraft gekostet. Senator Krupp ist längst außer Dienst, der Fischbratküche droht dieses Schicksal, wenn der Chef sein Lokal aufgibt. Wann wird das sein? Matthes weiß es noch nicht. „Wir fühlen uns den Menschen, die sich damals für uns eingesetzt haben, verbunden. Viele von denen sagen: ‚Gerd, halt bloß nicht auf!’“ Diese Stammgäste dürfen am Ecktisch neben dem Tresen sitzen. Wie dem Senator seine Grenzen aufgezeigt wurden, sorgt dort heute noch für Heiterkeit. Gerd Matthes ist sich dennoch keiner Schuld bewusst. „Schreib’ mal: Ich hab den doch gar nicht erkannt“, betont er treuherzig. Dass er den Senator dann auch noch geduzt hat, könnte er allerdings nicht so leicht abstreiten.

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