Olympia in Hamburg: Wird das grün oder bleibt das Hafen?

Olympische und Paralympische Spiele 2024: Die Hamburger entscheiden, was mit dem Kleinen Grasbrook passiert. Von Matthias Greulich.

Gegenüber auf dem Frachter Grande America krabbeln ameisengroße Hafenarbeiter auf den Containern herum. Zwei Ausflügler haben ihre Fahrräder neben den Gleisen der alten Hafenbahn abgestellt und ihre Brote ausgepackt. „Schau mal nach links“, deutet die Frau mit dem Zeigefinger auf die Elbphilharmonie, wo sich das Licht in der Nachmittagssonne in den Fenstern zu spiegeln beginnt. „Ist das schön“, sagt der Mann und legt sein Brot zur Seite.
„Das Olympiastadion mit Blick auf die Stadt – einmalig“, sagte Jörn Walter, Hamburgs Oberbaudirektor bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Dort, wo jetzt die Grande America vor Anker liegt, ist das Herzstück von Hamburgs Bewerbung für die Olymischen und Paralympischen Spiele im Jahre 2024 geplant. Und wenn die Sportler wieder nach Hause fahren, würde ein kleineres Leichtathletik-Stadion stehen bleiben. Darüber, in den ehemaligen Olympiatribünen, könnten Wohnungen entstehen. Im Norden des Grasbrooks bliebe ein großer Park mit wunderschönem Blick auf die Hafencity für alle.
„Wir würden noch in 100 Jahren einen Nutzen davon in der Stadt haben“, sagte Walter bei einer Veranstaltung im Altonaer Kreuzfahrtterminal, bei der die Hamburger auf das Referendum am 29. November eingestimmt wurden. Zuvor gab es animierte Luftaufnahmen olympischer Sportanlagen im Hamburger Stadtpark zu sehen. Daran muss Walter bei seinem ganz unhanseatischen Gefühlsausbruch gedacht haben.
Neben dem Oberbaudirektor stand auch Joachim Lau einige Minuten im Scheinwerferlicht auf der Bühne. Er brachte die Argumente vor, warum die Volksinitiative „Stop Olympia Hamburg“ gegen die Spiele ist: Mangelnde Transparenz, unübersehbare Kosten und Gentrifizierung in den umliegenden Vierteln, um nur die wichtigsten zu nennen.

Die Herren des IOC werden nicht mit dem Fahrad anreisengrasbrook

Container, Kräne, Kaianlagen: So sieht es heute auf dem südlichen Grasbrook aus, auf der Fläche am rechten Bildrand ist 2024 das Olympiastadion geplant. Foto: Greulich

Stünde Lau jetzt neben den Ausflüglern am Schuppen 50 würde er statt über die Aussicht zu schwärmen, die geplante Brücke zum südlichen Grasbrook kritisieren. „Hier würde man sich nicht mehr ungehindert bewegen können“, so Lau. Nur die „Olympische Familie“, also unter anderem die Funktionäre des Internationale Olympische Komitees (IOC), dürfte diesen VIP-Eingang zum Stadion benutzen. Und die älteren Herren kämen nicht mit dem Fahrrad, wie es den Organisatoren für viele Besucher der „Grünen Spiele auf dem Grasbrook“ vorschwebt. Jedem Wirtschaftspartner des IOC sind laut Gastgebervertrag zwei Autos mit Fahrer zu stellen. Viele empfinden solche und andere Vereinbarungen als Knebelverträge.
Immerhin: Der neue Vorsitzende des IOC, Thomas Bach, hat Reformen angekündigt. Der ehemalige Fechter aus Tauberbischofsheim will zukünftig „kleine aber feine Spiele“. Ganz so klein dürfte es angesichts 41.177 Hotelzimmer, die für Funktionäre bereit stehen müssen, dann allerdings doch nicht werden.
Der Ruf großer internationaler Sportverbände hat zuletzt selbst bei weniger kritischen Geistern als Lau gelitten. Ist in den Nachrichten von Fifa-Funktionären die Rede, geht es kaum noch ohne den Zusatz „korrupt“.
Lau war häufiger im Saal, wenn Walter in den vergangenen Monaten auf verschiedenen Veranstaltungen das olympische Bauprojekt auf dem Grasbrook angepriesen hat. Wenn Walter mit bebender Stimme von 8.000 neuen Wohnungen sprach, hat ihn Lau, der deutlich ruhigere dieses unfreiwilligen Paares, mit Detailfragen über die Kosten des Umzugs der Hafenbetriebe aus dem Konzept zu bringen versucht.

Übernimmt der Bund 6,2 Milliarden Euro der Kosten?

Auch wenn die eindrucksvollen Luftaufnahmen mit großen Sportstätten etwas anderes suggerieren: Noch werden auf dem Grasbrook Tag und Nacht Schiffe mit Autos beladen, oder es kommen von hier grüne Bananen aus südlichen Ländern in den Norden. „Wenn Olympia nicht kommt, bleibt das Hafen!“, hat der Erste Bürgermeister Olaf Scholz gesagt.

Im September 2017 ist klar, wer die Spiele bekommt

Womit wir bei den Kosten wären: Scholz hat ausrechnen lassen, dass Hamburg von 7,4 Milliarden Euro Gesamtkosten 1,2 Milliarden tragen könnte. Die restlichen 6,2 Milliarden müssten vom Bund kommen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat die Spiele zwar zur „nationalen Aufgabe“ erklärt, doch eine Zusage aus Berlin steht noch aus.
Sucht man heute nach irgendetwas Sportlichem auf oder in der Nähe des Grasbrooks, muss man durch die Unterführung vom Hafen in Richtung Veddel gehen. Dort spielen Kinder, von denen viele aus Rumänien oder Bulgarien komen, auf einem Bolzplatz Fußball. Vor einigen Monaten hat Jörn Walter die Olympiapläne den Veddelern in der Immanuelkirche gleich hinter dem Bolzplatz vorgestellt. Es mag an dem Termin mitten in den Sommerferien gelegen haben, dass das Interesse mit 40 Teilnehmern überschaubar war.
Die Veddeler wollten mit Jörn Walter nicht über Sport reden, sondern darüber, ob der ganze Baustellenverkehr durch ihren Stadtteil rollen würde. „„Ehrlich gesagt kann man das momentan noch nicht sagen“, so Walter. Beim Bau der benachbarten Hafencity stand das Betonwerk acht Jahre lang direkt auf dem Baugrund, damit es weniger Baustellenverkehr gab. Auch per Schiff wurde dort Material angeliefert. Beide Stadtteile liegen so tief, dass der Boden aufgeschüttet werden muss. Ohne Lkw-Verkehr geht es allerdings nicht: Der Großteil der Laster würde die Haupthafenroute auf dem Veddeler Damm benutzen.
Ob dort, wo jetzt noch Frachter wie die Grande America liegen, dereinst tatsächlich die Bagger rollen, wird bald entschieden. Gewinnt der Senat das Referendum, muss sich der hoffnungsvolle Außenseiter im September 2017 gegen Konkurrenten wie Paris oder Los Angeles durchsetzen. „Dann geht der Tanz richtig los!“, sagte Jörn Walter auf der Veddel.

Olympia
Momentan werden die Unterlagen zum Bürgerschaftsreferendum an die 1,3 Millionen wahlberechtigten Hamburger verschickt. Am Sonntag, 29. November, müssen 20 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben und die Mehrheit für Olympische und Paralympische Spiele in Hamburg stimmen.
Im Falle einer Hamburger Zustimmung sollten sich die Bundesregierung mit dem rot-grünen Hamburger Senat bis zum Februar 2016 über die Verteilung der Kosten geeinigt haben.

Dieser Text ist am 5. November 2015 im Elbe Wochenblatt am Wochenende erschienen

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