Ein Alptraum

Die Bewohner des Schanzenviertels sind einiges gewohnt, doch die Vorkommnisse rund um den G20-Gipfel stellen alles in den Schatten. Von Matthias Greulich.

Es brummte tage- und nächtelang, aber am Sonntag war es vorbei. Das Hubschraubergeräusch über dem Schanzenviertel und dem südliche Eimsbüttel, das den Soundtrack des „Festivals der Demokratie“ gebildet hatte, war verschwunden wie wie die schlimmsten Kopfschmerzen nach einem dreitägigen Kater.

Erwacht aus einem 72-stündigem Alptraum, zeigt der Blick auf das mit „No G20“ bemalte Bettlaken, das die Nachbarn von gegenüber auf ihrem Altbaubalkon befestigt haben, dass der ganze Scheiß tatsächlich in der eigenen Nachbarschaft stattgefunden hat.

Am Rewe Altonaer Straße steckt eine Blume neben der Scheibe vom Glasernotdienst. Am Schulterblatt ist der „Orangene Block“ der Stadtreinigung schon durch, jetzt fegen junge Mädchen die bösen Erinnerungen der letzten Nächte zusammen.

„Danke Olaf!“ steht auf dem Holzverschlag, hinter dem sonst die Amanda Bar ist. Bürgermeister Olaf Scholz ist mit der Motorradeskorte derweil unterwegs von der Messe in Richtung Polizeiwache Lerchenstraße. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und er reden dort mit Cord Wöhlke von Budnikowsky, der mitansehen musste, wie Randalierer die Filale am Schulterblatt verwüsteten. Vor der Lerchenwache sammelt sich eine Menschenmenge, die Scholz und Steinmeier hinter den verspiegelten Scheiben ihres Fahrzeugs nicht zu sehen bekommen.

Am Schulterblatt lässt sich Scholz nicht blicken. Katharina Fegebank schon. Die Forderung der Anwohner nach Neuwahlen, wenn Scholz nicht zurücktreten wolle, nimmt die Zweite Bürgermeisterin „gerne als Impuls mit“.

Jeweils 30 Prozent der Stimmen haben SPD und Grüne bei der Bürgerschaftswahl vor zwei Jahren im Stadtteil bekommen. Über die Ausrichtung des Gipfels vor der Haustür durfte niemand abstimmen, das war Chefsache und keine Naturkatastrophe. Das Mantra, dass der Gipfel in einem demokratischen Land stattfinden müsse, ließ die „Senioren gegen G20“ auf dem Stromkasten vor dem Kiosk in der Weidenallee offenbar kalt.

Die Senioren verweigern sich, die Jungen sowieso. Am Mittwochabend war es bei der „Lieber tanz ich als G20“-Demo, bei der viele Nachbarn mitfeierten, noch hamburgisch entspannt zugegangen. Die Wasserwerfer der Polizei parkten in den Nebenstraßen. Es blieb friedlich.

Dann wurde alles unhamburgisch. Als die Randale am Freitag am Neuen Pferdemarkt eskalierte, rückten keine Einsatzkräfte vom Norden in Richtung Schanzenviertel vor, wie sonst bei jeder größeren Demo üblich. Das Schanzenviertel wurde einige Stunden den Randalierern überlassen. Warum keine Wasserwerfer von der Altonaer Straße kamen, dafür gibt es keine Erklärungen. „Wir sind alle bedrückt“, sagt Scholz und meint hauptsächlich sich. Über die Anwohner, die versucht haben, die Feuer zu löschen und denen lange niemand half, redet er nicht.

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