Die „Hörzu“ hat Axel Springer groß gemacht, heute steckt die Programmzeitschrift in einer tiefen Krise. Vier Chefredakteure versuchten sich in den vergangenen acht Jahren mit wechselnden Konzepten daran, den mächtigen Unterhaltungsdampfer wieder flott zu kriegen – doch den dramatischen Auflagenverlust konnten sie nicht verhindern
Wer die Botschaft des Abschieds lesen wollte, musste in den Himmel schauen. „Andreas Petzold wir danken dir“ stand auf dem vom Axel Springer Verlag gemieteten Zeppelin geschrieben, der langsam über die Gebäude der „Hörzu“ hinweg schwebte. Auch Petzold machte als Chefredakteur der Programmzeitschrift unmittelbar darauf den Abflug. Der 49-Jährige teilt sich mit Thomas Osterkorn seit 1999 die Chefredaktion des „Stern“, bei Springer haben sie seitdem Probleme, ihr einstiges Flaggschiff wieder flott zu kriegen.
Die „Hörzu“ – immer noch das auflagenstärkste wöchentlich erscheinende Programmmagazin Deutschlands – steckt im Abstiegskampf. Vier Chefredakteure hat sie in den vergangenen acht Jahren verschlissen, mit der Auflage geht es dennoch stetig bergab: 1997 verkaufte sich das Heft 2,3 Millionen Mal, heute sind es auf dem hart umkämpften Markt der Fernsehzeitungen noch 1,6 Millionen. Die Besetzung der Redaktion wurde unter den jeweils amtierenden Blattmachern in weiten Teilen ausgetauscht. Die meisten Chefredakteure brachten mit neuen Konzepten auch gleich eine neue Mannschaft mit ins Springer-Zeitschriftenhaus an der ABC-Straße. Die verbliebenen Leser mussten wandlungsfähig sein, da sich auch die Mischung im so genannten „Mantelteil“, der das Fernseh- und Radioprogramm umgibt, alle paar Jahre zu ändern pflegt.
Im Moment sind gerade Tiergeschichten, Gesundheitsthemen und Reisereportagen im Angebot, aber auch seriöse Servicegeschichten à la „So sichern Sie Ihren Wohlstand“, die vor dubiosen Anlageberatern warnen. „Wie eine warme intelligente lebensbejahende Frau“ will der derzeit amtierende Chefredakteur Thomas Garms (47) sein Blatt inszenieren. Das Konzept dürfte älteren Lesern – deren Anteil bei der „Hörzu“ überdurchschnittlich hoch ist – bekannt vorkommen. Selbst Wohlmeinenden mutet das Springer-Heft heute wie eine sanftere Version des Konkurrenten „TV Hören und Sehen“ aus dem Heinrich Bauer Verlag an. Deren Chefredakteur Uwe Bokelmann lernte einst bei der „Hörzu“ das mühselige Handwerk, ein Millionenpublikum Woche für Woche zu bedienen. Nun schließt sich der Kreis: Das einstige Original orientiert sich an seiner eigenen Imitation.
Als die „Hörzu“ 1946 gegründet wurde, gab es noch nichts Vergleichbares. Ihrem Verleger Axel Cäsar Springer brachte sie die nötigen Gewinne zur Gründung seines Zeitungsimperiums ein. Nach dem laut Springer „genialen“ Erfinder des einstigen Radiomagazins ist heute das Eduard-Rhein-Ufer an der Alster benannt. Der Ingenieur, Physiker, Autor, Erfinder und Journalist dachte sich die Figur des Mecki aus, der sich im Nachkriegsdeutschland zu einem – heute würde man sagen – gigantischen Merchandising-Erfolg entwickelte. Den Nerv der Wirtschaftswunder-Republik traf das Mecki-Blatt wie kein zweites, die Auflage betrug vor 40 Jahren fast fünf Millionen Hefte.
Wie aber konnte es zu dem Verlust an Auflage und Bedeutung kommen? Die größere Konkurrenz und die Veränderung der Fernsehlandschaft durch das Aufkommen der Privaten kosteten den Marktführer Leser, bei den vierzehntäglichen Programmzeitschriften hatte die Verlagsgruppe Milchstraße mit der 1990 gestarteten „TV Spielfilm“ die Nase vorn.
Seinerzeit regierte mit Klaus Stampfuss der bislang letzte „Hörzu“-Chefredakteur, der länger als zwei Jahre amtieren durfte oder wollte. Seine Redaktion pflegte Stampfuss mit harter Hand zu führen. Er las jeden Text, versah ihn eigenhändig mit Änderungen, das häufige Umschreiben war für die Redakteure gang und gäbe. Zum Ausgleich schickte der Chef seine Lieblinge auf Reportagereisen zu den schönsten Plätzen auf dem Globus. Lautete der Serientitel „Traumstraßen der Welt“, fuhr der Autor etwa mehrere Tage in Brasilien mit dem Mietwagen umher. Seine Reportage sollte dem Leser in Castrop-Rauxel das Gefühl vermitteln, er selber sei an der Copacabana gewesen. Nicht zuletzt durch diese aufwändigen Serien hielt Stampfuss die Auflage stabil, wurde aber dennoch 1997 auf den Posten des Leiters der Springer-Journalistenschule versetzt. Im Verlag schätzte man weder die Verleihung des Fernsehpreises „Goldene Kamera“ an die Aktivisten von „Greenpeace“ noch das Pochen auf die redaktionelle Unabhängigkeiten gegenüber den Begehrlichkeiten des Anzeigenmarktes.
Stampfuss’ Nachfolger Petzold nahm die Inserenten so ernst, dass er sie mit dem Konzept der „Winning Generation“ als Anzeigenkunden umschmeichelte. Die „Hörzu“-Leser „sind jetzt nicht die ‚winner’ der Gesellschaft, wie man vermuten könnte, sondern es sind sozusagen die Günstlinge des Schicksals. Das ist die Glück-gehabt-Generation, die nach dem Krieg ungestört die Aufbauleistung bringen konnte“, so Petzold. Die Anzeige für Treppenlifte machten in der Folge Platz für Inserate von begehrten Markenartikeln, doch ein Teil der Stammleser fühlten sich offenbar nicht mehr als „Winning Generation“. Bei Petzolds Abgang lag die Auflage mit 2,1 Mio. nur noch relativ knapp über der psychologisch wichtigen Zwei-Millionen-Marke.
Nachfolger Michael Lohmann galt als Verlegenheitslösung, der Redaktion wurde der bei der ersten Vorstellung mühsam zum Hoffnungsträger hochgegeigte Chef vom Verlagsmanagement als „Herr Lohmeyer“ vorgestellt. Nach zwei Jahren musste Lohmann beim vorübergehenden Zwischentief von 2,014 verkaufter Auflage gehen.
Mit dem Ex-Gala-Chefredakteur Jörg Walberer setzten die Springer-Manager nun auf das dort erfolgreich praktizierte Rezept, Prominente in allen Lebenslagen zu präsentieren. Seine gestammelten Editorials „In eigener Sache“ verstörten Leserschaft und Medienkritik gleichermaßen. „Walberer führt die Leser durch das Labyrinth in seinem Kopf: bizarre Felsformationen, dahinter im Nebel, die Abgründe seiner Seele“, wunderte sich Stefan Niggemeier in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. „Wie“, fragte Niggemeier, „kann man sich mit diesem Chefredakteur arrangieren? Mit einem, der nichts weiß, nichts wissen will und nicht weiß, wie man es aufschreibt, so dass es andere verstehen?“ Die Mitarbeiter konnten sich in dieser Phase nicht einmal mehr auf handwerkliche Grundsätze des Journalismus verlassen: Einen renommierten Experten namentlich zu zitieren, war verpönt, weil das den Lesefluss unterbreche. Die Serie „Bürogespräch“ sparte Reisekosten, denn die über Gott und die Welt plaudernden Kollegen konnten auch gleich in den Redaktionsräumen fotografiert werden. Der Leser aus Castrop-Rauxel durfte nun nicht mehr in fremde Länder mitreisen, sondern bekam das, was er auch schon von zu Hause kannte.
Der Auflagenverlust angesichts dieser, nun ja, unorthodoxen Geschichten war dramatisch: „Wir haben die Stars“, warb Walberer – „und die anderen die Leser“, lautete der hausinterne Galgenhumor. Auch eine bundesweite Plakataktion mit dem als Engel kostümierten TV-Pastor Fliege konnte die ältere Leserschaft mit ihrem hohen Lehrer- und sonstigen Akademikeranteil nicht mehr zum Glauben an das People-Konzept bewegen. Jörg Walberer musste sein Amt 2003 an Thomas Garms mit 1,8 Millionen verkaufter Auflage übergeben.
Übriggeblieben ist Walberers Neuerung, die Einführung der „Hall Of Fame“ für die Glamour-Veranstaltung des Blattes, die mit der gewagten Selbsteinschätzung „Hollywood hat den Oscar, Deutschland die Goldene Kamera, den Hörzu-Fernsehpreis“ überrascht. Thomas Gottschalk moderiert, das ZDF überträgt eine Aufzeichnung. Manchmal kann man am TV-Gerät dann auch einige „Hörzu“-Redakteure in Abendgarderobe erkennen. Dann holt gerade ein Preisträger seine Kamera auf der Bühne ab, der Mitarbeiter vermeidet durch seine Anwesenheit hässliche Lücken in der ersten Reihe.
Der Papst hat eine Goldene Kamera, Tina Turner nach ihrem jüngsten Auftritt am 9. Februar der Berliner Ullsteinhalle sogar zwei. Was das mit Fernsehen zu tun hat? Relativ wenig, die „Süddeutsche Zeitung“ bezeichnete den Abend einst als „Bussi-Bussi-Veranstaltung“. Für den nötigen Glamour sorgen immerhin die ganz großen Filmstars, die sich bei der Jury artig für ihre Kamera bedanken. Häufig sind es allerdings genau die Hollywood-Größen, die sich wegen der Berliner Filmfestspiele onehin an die Spree bemühen müssen.
Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust hatte eine kürzere Anreise, um sich für seine erste Goldene Kamera zu bedanken. Als Jungredakteur des linken Sexblatts „St. Pauli Nachrichten“ hatte Aust 1970 noch die Macht der „Hörzu“ zu spüren bekommen. Als Axel Springer drohte, seine Programmzeitschrift nicht mehr dort zu verkaufen, wo das Anarcho-Blatt auslag, konnte Austs damaliger Arbeitgeber nicht mehr am Kiosk verkauft werden. Ob eine solche Drohung allerdings heute noch Erfolg hätte?
Der Text ist im März 2005 in der SZENE Hamburg erschienen.
Schreibe einen Kommentar